Mein Büro, in dem ich unter der Woche an Reisevorschlägen, email-Kontakten, Buchhaltung und kreativer Schreibarbeit sitze, befindet sich in einem Farmhaus im namibischen Savannenland. Schaue ich an meinem Bildschirm vorbei, blicke ich durch ein großes Fenster, von der Sonne beschienen, zunächst auf ein gut besuchtes Vogelbad, den Blick hebend in eine Fläche mit gelbem Gras und Akazienbäumen, durch die der leichte Wind rauscht.
Ich bin eine unter Vielen! Unter den Vielen, die ihr Herz in Namibia verloren haben und geblieben sind.
Deutschland und Namibia trennen rund 10 000 Kilometer, mit dem Flugzeug im Direktflug in knapp 10 Stunden zu überbrücken. In Windhoek einsteigen, in Frankfurt aussteigen, angekommen! Klingt nicht nach einem großen Aufwand – und doch unternimmt man diese Reise nicht aller Tage.
Neue Heimat; alte Heimat. Neues Zuhause; altes Zuhause?
Die Frage nach der Zugehörigkeit mag bei so manchem in unregelmäßigen Abständen aufkommen und sucht nach einer Antwort.
Der Text „Goldene Heimkehr“ ist ein Versuch für mich.
Goldene Heimkehr
Schleichend macht sich müde Erschöpfung breit,
weit liegt ein erstarrtes Ziel vor meinen verblendeten Augen.
Rauben will der Weg, der hinter mir liegt,
den Trieb nach goldener Heimkehr.
Der Blick nach vorn, der Blick zurück,
doch steh’n kann ich nur hier.
Die Gier nach Ganzheit, Perfektion, Kontrolle,
lähmt, lässt wie gezähmt die Seele trudeln,
festkleben an dem Platz, der sich neue Heimat schimpft.
Ja, schimpfen möcht‘ ich über mich,
lass ich doch im Stich, was einst ein Teil war von mir.
Zwei Seelen schlagen in meiner Brust. – Hat schon Goethe gesagt.
Nun eine vergessen, versteckt, vergraben, verleugnet gar.
Aber wahr ist auch der Schreck des Petrus;
beim Schrei des Hahns verfällt er in den Wahn der Lüge und der Scham.
Erbarm‘ dich meiner – verzeih, dass ich die Nähe in der Ferne suche
und nicht buche einen Flug von hier nach dort an diesen Ort,
der so vertraut und bald zum Fremdling wurde.
Schleichend macht sich müde Erschöpfung breit,
vor meinen verblendeten Augen liegt das erstarrte Ziel mit viel Verklärung,
in Watte gepackt und vergoldet.
Sachte abgerutscht in ein neues Land
ganz unbekannt und besser, wilder, freier,
in Glaube, Liebe, Hoffnung,
gewählt, auserwählt. Gequälter Ausdruck der Zufriedenheit
windet sich weit und breit über meinem Gesicht.
Mit Zuversicht schüttle ich alle Scham und Traurigkeit von mir,
tauche ab in die Einsamkeit, suche in schwarzer Tiefe
nach dem was brach liegt.
Starb die Liebe zur Vergangenheit in einer Zeit des Neubeginns?
Schleichend macht sich müde Erschöpfung breit
und der Griff zum Tagebuch nicht weit:
„Liebe Kitty, heute habe ich schon wieder im Internet nach Flügen von Windhoek nach Düsseldorf gegoogelt. Sie werden von Tag zu Tag teurer. Das kann ich mir nicht leisten. Ausserdem finde ich nicht den richtigen Zeitpunkt, an dem ich meine Familie besuchen könnte; die Kinder haben Schularbeit zu erledigen; dabei muss ich helfen. Die Arbeit in Büro und Haushalt muss erledigt werden. Ich befürchte, auch in diesem Jahr wird nichts daraus.“
Schleichend legt sich müde Erschöpfung über meine Hand,
die wie gefesselt und gebannt inne hält beim Malen
der Buchstaben M U S S
doppeltes S muss – einfaches s Mus
Was ist bluß luus? in dieser Welt,
voll Zwang verspürt jeder den Drang noch besser zu sein,
im Schein der andern nicht unterzugeh’n und zu versteh’n,
dass alle Normen nicht unbedingt auf deine Formen passen. Lassen
wir das Muss sich auflösen im weichen Mus der Individualität,
es ist nie zu spät wieder geschmeidig zu werden
und in unser eigenes Ich zu gleiten.
Wandle Muss in ein Möchte.
Wandle Muss in einen Kuss, der in einer glühenden Umarmung
zu einem warmen Glauben an dich selbst transferiert.
Schleichend dehnt sich müde Erschöpfung in allen meinen Gliedern aus.
Das Handy summt, aus meinem Mund
entweicht ein kaum hörbares Stöhnen,
bedarf es einiger Zeit des Gewöhnens, dass man allzeit bereit,
allzeit erreichbar ist.
Am anderen Ende vernehme ich:
„Du, ich fliege nächste Woche nach Hause. Ich war schon ein halbes Jahr nicht mehr drüben.“ „Ja, hmh, aha.“ „Sag mal, wann fliegst DU eigentlich mal wieder nach Deutschland? Ist schon lange her, oder?“ „5 Jahre.“ Uff, Bedauern. Unverständnis.
Verständnis geht auch mir verloren, bin ich schließlich in NRW geboren.
Doch mein Zuhause liegt schon lange in Afrika…
Schleichend ist plötzlich ein Gefühl da,
dem die Erschöpfung weicht und gleicht dem psychologischen Rat,
der mit einem Mausklick im Netz abrufbar:
Frieda Fröhlich: Heute zeige ich euch, wie ihr ein zufriedenes Leben führt – in nur 3 Schritten.
Oh, come on, nicht wirklich, oder?
Schleichend macht sich aufgeweckte Heiterkeit breit,
in meiner Seele, meinem Herzen, ohne Schmerzen
kann ich sagen, dass in diesen Tagen
das Bild von der goldenen Heimkehr
verblaßt.